Der NSU-Terror: Wie und wo steht die öffentliche Auseinandersetzung mit Neonazismus und Rassismus in der Gesellschaft?
Dieses Mal wollen wir uns im Rahmen von „Die Welt ist nicht mein Dorf“ mit dem NSU-Terror und seiner Aufarbeitung kritisch auseinandersetzen.
Wir freuen uns, dazu einen kurzen Film zeigen zu können und Özge Pınar Sarp und Ulli Jentsch von NSU-watch begrüßen zu dürfen, um mit ihnen über den Stand der Auseinandersetzung über Neonazismus und Rassismus in der Gesellschaft zu diskutieren:
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Wird institutioneller Rassismus aufgearbeitet oder fortgesetzt?
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Was hat der NSU-Prozess in München bisher gebracht?
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Welche Aufklärung wurde durch den NSU-Untersuchungsausschuss geleistet?
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Welche Konsequenzen ziehen Medien, Politik und Gesellschaft aus dem Terror?
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Was wird aufgearbeitet, was nicht und was muss gesellschaftlich eingefordert werden?
NSU-watch
ist eine unabhängige Beobachtungsstelle, gegründet am 1. April 2013. NSU-watch klärt auf und mischt sich ein. Kern der Arbeit von NSU-watch ist die Beobachtung des Strafprozesses gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger G., André E. und Carsten Sch. am Oberlandesgericht in München. Siehe: http://www.nsu-watch.info
Wir freuen und auf euch und eine gute Diskussion
am 25. Juni 2014 um 19 Uhr
im Sprachenatelier Berlin,
Frankfurter Allee 40 (U-Bahn-Station Samariter-Straße),
2. Stock: Salon
Film und Diskussion auf Türkisch und Deutsch
nur bedingt barrierefrei, Aufzug vorhanden, aber sehr eng
Eintritt frei – Spenden für NSU-watch wilkommen!
zum Hintergrund:
NSU-Terror
1999 explodierte in einem Lokal in Nürnberg eine Rohrbombe, ein Mensch wurde schwer verletzt: Motiv: Rassismus.
Zwischen 2000 und 2006 wurden 9 Menschen ermordet. Mordmotiv: Rassismus.
2001 explodierte in einem deutsch-iranischen Lebensmittel-Geschäft eine Bombe, die Tochter der Inhaber wurde schwer verletzt. Motiv: Rassismus.
2004 wurde in Köln ein Anschlag mit einer Nagelbombe verübt, 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt: Attentatsmotiv: Rassismus.
2007 wurde eine Polizistin erschossen.
Das ist (nur) der bekannte Teil des Terrors des NSU – des selbsternannten nationalsozialistischen Untergrunds.
Der Terror flog auf – der Schock war groß
Im November 2011 flog der rassistische Terror auf. Am 16.11.2011 erklärte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in den Tagesthemen: „Man konnte sich bis vor wenigen Tagen nicht vorstellen, dass es tatsächlich terroristische Organisationen geben könnte oder Zellen geben könnte, die mordend durchs Land laufen.“ Medien und Politik zeigten sich zu einer Auseinandersetzung und Aufklärung bereit.
Behörden und Politik wussten seit 2000 vom Terror
Aus einer Fülle von Akten, die teilweise amtlich geheim gehalten werden, wird deutlich: Einzelne Behörden wussten, wo das Trio sich wahrscheinlich versteckte, andere, dass sie sich bewaffneten, andere weigerten sich, bei der Aufklärung der Morde die Spur nach rassistischen Motiven zu verfolgen.
Der Terror war vermeidbar
Prof. Hajo Funke, ein Sachverständiger der NSU-Untersuchungsausschüsse kommentierte das Auftauchen des Dokuments: „Wenn man angemessen gehandelt hätte, man hat das ja versucht, aber nicht konsequent gemacht, dann wäre die gesamte Mordserie vermeidbar gewesen.“
Der NSU-Gerichtsprozess
Seit einem Jahr läuft der Strafprozess am Oberlandesgericht München. Mehr als Hundert Verhandlungstage sind vergangen. Wie sieht die Zwischenbilanz aus?
Ermutigend ist, das es wahrscheinlich zu einer Verurteilung im Sinne der Anklage reichen wird.
Ernüchernd ist, dass zentrale Fragen nicht bearbeitet werden:
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Wie konnten junge Menschen derart hasserfüllt werden, dass sie mordend durch das Land laufen und rassistischen Terror verbreiten?
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Wer hat den Terror unterstützt? Wer gehört zum Netzwerk des NSU?
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Welche Rolle haben V-Leute und Verfassungsschutzbehörden gespielt? Wieso wurden Akten geschreddert und Akten geheimgehalten?
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Wieso blendeten Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden sowie Medien Neo-Nazis als Täter_innen konsequent aus und verdächtigten die Opfer und ihre Angehörigen?
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Welchen Einfluss hat der alltägliche und institutionelle Rassismus?
Wir gedenken der Toten und trauern in Solidarität mit ihren Angehörigen
Enver Şimşek Der Inhaber eines Blumenhandels in Schlüchtern wurde am 9. September 2000 in Nürnberg in seinem mobilen Blumenstand mit acht Schüssen niedergeschossen und erlag am 10.9.2000 seinen Verletzungen.
Abdurrahim Özüdoğru Der Schichtarbeiter bei Siemens wurde am 13. Juni 2001 in seiner Änderungsschneiderei in der Nürnberger Südstadt, wo er nebenamtlich arbeitete, mit zwei Kopfschüssen ermordet.
Süleyman Taşköprü Der Obst- und Gemüsehändler wurde am 27. Juni 2001 in Hamburg-Bahrenfeld im Laden seines Vaters mit drei Kopfschüssen ermordet.
Habil Kılıç Der Inhaber eines Obst- und Gemüsehandel wurde am 29. August 2001 in München-Ramersdorf in seinem Geschäft mit zwei Kopfschüssen erschossen.
Mehmet Turgut Er war zu Besuch bei einem Freund und wurde dort am 25. Februar 2004 beim Aufschließen dessen Döner-Standes in Rostock-Toitenwinkel mit fast aufgesetzten Schüssen in Hals, Nacken und Kopf erschossen.
İsmail Yaşar Der Inhaber eines Döner-Kebap-Imbisse wurde am 9. Juni 2005 in seinem Verkaufscontainer in der Nürnberger Scharrerstrasse mit fünf gezielten Schüssen in Kopf und Herz ermordet.
Theodoros Boulgarides Der Mitinhaber eines Schlüsseldienstes wurde am 15. Juni 2005 in seinem Geschäft in München-Westend mit drei Kopfschüssen ermordet.
Mehmet Kubaşık Der Besitzer eines Kiosks wurde am 4. April 2006 mit mehreren Schüssen in seinem Kiosk in der Dortmunder Nordstadt niedergeschossen und starb an seinen schweren Verletzungen.
Halit Yozgat Der Betreiber eines Internetcafé wurde am 6. April 2006 in seinem Internet-Café in Kassel durch zwei gezielte Pistolenschüsse ermordet.
Michèle Kiesewetter Die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter wurde am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn mit einem gezielten Schuss in den Kopf getötet. Ein weiterer Polizeibeamter wurde mit einem Kopfschuss lebensgefährlich verletzt.